Messenger als soziale Netzwerke?

In Südostasien, speziell Japan, gibt es seit dem vergangenen Jahr einen Trend hin zu Messengern, die sich im Funktionsumfang immer mehr an soziale Netzwerke annähern. Prominentester Vertreter dieser noch neuen Gattung: Line! Nach eigenen Angaben wird die erst 2011 gelaunchte App von 180 Mio. Usern genutzt, andere Quellen sprechen von 150 Mio. So weit das jenseits des Pazifiks beurteilt werden kann, schafft es diese Art der sozialen Kommunikation klassische soziale Netzwerke vielleicht nicht unbedingt zu verdrängen, mindestens aber ein Stück vom sozialen Kuchen abzuknabbern. Was genau macht aus Perspektive der User den Unterschied aus, warum wird diese Form des sozialen Netzwerkens in manchen Teilen der Welt so populär?

Konzentration auf mobile Plattformen

Anteile-täglich-aktiver-Nutzer-und-mobiler-Nutzer_Stand-Q1-2013Line ist ein Netzwerk, das nur als App existiert. Eindeutig ein Wettbewerbsvorteil für die Zukunft, wenn man sich das Nutzer- bzw. Konsumverhalten des Branchenprimus Facebook anschaut. Auch hier sind laut aktueller Zahlen aus Q1/2013 weltweit schon 17% der Nutzer ausschließlich auf mobilen Devices unterwegs – nahezu eine Verdopplung innerhalb eines Jahres. Und das trotz der User Experience in der mobilen Facebook-App, die diesen Trend nicht unbedingt unterstützt. Vorsichtig gesagt ist die Nutzung vor allem der Facebook App – nun ja – gewöhnungsbedürftig. Wer kennt es nicht, wenn der integrierte Browser mal wieder in Zeitlupe arbeitet oder Links zu nicht mobil optimierten FB Apps ins Leere führen. Letzteres ist natürlich auch ein Problem, das von Seitenbetreibern ausgeht – ihnen wird es aber von Facebook auch keinesfalls leicht gemacht. Der Facebook Messenger hingegen schlägt sich hier recht wacker und tut eigentlich genau das was er soll – Kommunikation ermöglichen.
Zurück zu Line: Da Line ausschließlich per App abrufbar ist, umschifft der Messenger das Problem multibler Plattformen, Versionen und Nutzungsszenarien. Der User kennt nur die Apps (auch für Win und OSX), Vergleiche mit der Browserversion werden erst gar nicht angestellt. Ganz klar im Fokus: Die Konzentration auf mobile Apps! Die Fokussierung auf Mobile Devices passt dabei zum Nutzerverhalten in sozialen Netzwerken – mehr und mehr werden Inhalte mobil konsumiert, wie der Chart rechts am Beispiel Facebook verdeutlicht. Die globale Zukunft scheint mobil zu sein. Ein Trend, den jeder Facebook Admin im Auge behalten sollte, auch wenn aktuell kein akuter Handlungsbedarf besteht.

Weniger ist mehr – Konzentration auf die mobile App

Line Messenger - die Zentrale

Line Messenger – die Zentrale

Die Darstellung auf mobilen Devices schränkt natürlich die Betreiber von Plattformen schon auf ganz natürliche Weise ein. Durchschnittlich wird wohl eine Displaygröße von 3-6 Zoll Standard sein – nicht unbedingt viel Platz, um Inhalte unterzubringen. Aus Perspektive des Users mag das aber durchaus charmant klingen – schließlich heißt das auch, dass nicht überall irrelevante Informationen angezeigt werden, die mich gerade vielleicht nicht interessieren. Ich als User kann mich auf das Wesentliche konzentrieren und nur genau die Inhalte betrachten, die ich gerade in dieser einen bestimmten Situation für relevant erachte. Ganz so wie es vom Facebook Messenger (oder hierzulande auch WhatsApp & Skype) bekannt ist – ich engagiere mich nur auf einem Screen und organisiere den nächsten Urlaub oder das Wochenende mit meinen Freunden in einem Chat oder betrachte den Newsstream in der Facebook App. Auch WhatsApp hat seinen Erfolg vielleicht der Beschränkung auf das Wesentliche zu verdanken – nämlich die direkte Kommunikation. Unser Beispiel Line geht hier aber ein Stück weiter. Über einen zentralen Screen bzw. ein Content Hub ist es möglich, bestimmte klar voneinander getrennte Interaktionen auszuführen. Ich kann mich in einen Chat, vielleicht auch mit mehreren Personen, begeben. Ich kann meine In-App Wall (=Timeline) mit Inhalten befüllen – Content, der für alle, aber keine bestimmte Person gedacht ist. Außerdem werde ich mit Entertainment versorgt – Games sind über den zentralen Content Hub direkt zu erreichen. Darüber hinaus wurde vor kurzem eine In-App Währung namens Line Coins (Android only) eingeführt. Einerseits um das Engagement innerhalb der App zu fördern, sicher ist dies aber auch ein interessante Thema für Entwicklungsländer – dazu aber mehr am Ende des Beitrags. Außerdem kann ich in Channels wechseln, die weitere Line Apps mit klaren Aufgaben beinhalten.
Kurz habe ich mir auch die Line OSX App angeschaut, die in ihrem Funktionsumfang gegenüber der mobilen App deutlich eingeschränkt ist. Hier wird sich auf Chat und VoIP konzentriert. Konsequent, wenn man die User vor allem auf die mobile App lenken will.

Was bietet Line Usern und Unternehmen?

Das Unternehmensprofil von McDonalds Japan in Line

Das Unternehmensprofil von McDonalds Japan in Line

  • Unternehmensprofile: Wie in Facebook & Co. ist es auch bei Line möglich, dass Unternehmen sich Profile anlegen. Diesen muss aus eigenem Antrieb gefolgt werden, es ist nicht möglich Werbung in die Timeline der User zu spielen. Vorteil für Unternehmen: Die Qualität der Follower steigt, Stichwort word-of-mouth. User folgen Unternehmensprofilen nur aus eigenem Antrieb oder eben wenn sie es von Freunden empfohlen bekommen. Nachteil: Die Reichweite ist begrenzt, da keine Werbung ausgespielt werden kann.
  • Unternehmen können mit Usern in eine nicht öffentliche 1zu1 Kommunikation treten. Aus User-Perspektive vielleicht ein Vorteil, aus Unternehmensperspektive ein Nachteil. Andere Nutzer werden nicht wie in Facebook über die Interaktionen ihrer Freunde mit bestimmten Unternehmen informiert. Andererseits kann so ein besonderes Gefühl der Wertschätzung auf Userseite entstehen, auch wenn faktisch dem User der gleiche Aufwand wie in der öffentlichen Kommunikation entgegengebracht wird.
  • Rund um die Kern-App Line gibt es weitere Apps, die den User binden sollen und über die erwähnte Rubrik Channels zu erreichen sind. Drei Beispiele: Line Cards (simple Glückwunschkarten), Line Brush (Bildbearbeitung mit dem Finger) oder Line Camera (Fotos mit Stamps etc. aufhübschen). Gemeinsames Ziel: Neue Nutzer auf die Plattform bekommen. Alle Apps verfügen über zahlreiche Schnittstellen, um den produzierten Content auf anderen Netzwerken zu teilen. Eine clever Strategie, um User aus anderen Netzwerken für Line zu interessieren. Außerdem natürlich nette Tools, die die User weiter an die Plattform binden.
  • Stamps, Stamps und nochmals Stamps: Gerade auch auf Facebook angekommen, zeigt Line, was mit Stickern (=Stamps) anscheinend alles möglich ist. Mich selbst interessiert das Feature ja kaum, gerade beim asiatischen Publikum scheint das aber ein Killerfeature zu sein. Als Nutzer kann man Sticker kaufen, als Unternehmen eigene Sticker kreieren und an die Fans verteilen. Alle sind dabei möglichst candy und scheinen auch in Deutschland ihr Publikum anzusprechen. Für Line scheint es eine ernst zu nehmende Einnahmequelle zu sein, zumindest für Europa & Facebook kann ich mir das aber kaum vorstellen. Aber naja, Klingeltöne waren auch mal “In”…
  • Line kommt zusätzlich auch mit einem VoIP-Client daher, der Sprachtelefonie erlaubt. Vorteil für den User: Alles in einer App. Zudem können Videonachrichten verschickt werden.
  • Line Play: Vergleichbar mit Second Life verbindet diese Line App User untereinander. Es können Avatare geschaffen werden, die wie ein Tamagotchi in ihrer virtuellen Umgebung gepflegt und gehegt werden wollen und mit den Avataren anderer Nutzer in Interaktion treten können. Eine elegante Methode, um die Verweildauer der User in Line zu steigern. Natürlich kann man auch aus dieser App heraus direkt via Chat oder VoIP kommunizieren.
  • Line Games: Schon jetzt sind eine Vielzahl an Games erhältlich. Alle User sind über Line untereinander vernetzt – ähnlich wie bei dem von iOS bekannten Gamecenter. Die User können Highscores vergleichen, gegeneinander antreten oder zusammen spielen. Also einfach miteinander ihre Zeit in Line verbringen.

Messenger: Die neuen sozialen Netzwerke in Europa & den USA?

Apps wie Line sind mittlerweile mehr als ein Trend. Gleichzeitig glaube ich kaum, dass sie das Potenzial haben, Facebook und Co. den Rang abzulaufen. Sicherlich werden in Zukunft immer mehr Apps mit ähnlichen Zwecken gleichberechtigt nebeneinander existieren und auch parallel genutzt werden. Die klassischen Social Media wie wir sie heute in Europa und den USA kennen werden aber wohl kaum durch Messenger verdrängt und ersetzt werden können. Dennoch zeigt das Beispiel Line einen interessanten Weg auf, wie sich Social Media in der langfristigen Perspektive verändern könnte. Was nicht heißt, dass es übermorgen vielleicht schon Realität ist ;-).
In anderen Kulturkreisen ist dies allerdings durchaus möglich – aber aus der Ferne auch sehr schwer zu beurteilen. Trotzdem: In Spanien soll es bereits 10 Mio. aktive Line User geben… Für Q1/2013 hat das Unternehmen einen Gewinn von 5,82 Bill. ¥ (ca. 44,8 Mio. €) ausgewiesen – das Konzept scheint also auch wirtschaftlich tragbar zu sein. 30% des Gewinns wurde durch Stamps (inkl. sponsored Stamps durch Unternehmen) erwirtschaftet, 50 % durch in-app-purchases.
Besonders interessant sind Messenger aus einem anderen Grund in Schwellenländern: Smartphones sind immer billiger zu haben, gleichzeitig gibt es oft keine funktionierende kabelgebundene Kommunikationsinfrastruktur. Mobile Daten- und Sprachnetzte dagegen sind relativ kostengünstig zu installieren – zusammen mit Messengern eine ideale Kombination um Wirtschaft und Gesellschaft voranzubringen. Beispiele für die technische Infrastruktur ist das Project Loon von Google; beispielhaft für die praktische Umsetzung steht Grameenphone in Bangladesh. Übrigens: Nicht umsonst hat Line vor kurzem den Start in Indien bekannt gegeben – das Land, aus dem der nicht minder populäre Messenger Hike kommt. Dazu müssen sich nur die schon erwähnten Line Coins etwas weiter entwickeln (Stichwort Micropayment, Bsp. Kenia) und ich habe eine relativ kostengünstige Infrastruktur, die viele Dinge ermöglicht, die für uns zwar zum Alltag gehören, in vielen Regionen der Welt aber unerreichbar weit weg erscheinen.
Und wenn dann noch die persönliche Vernetzung und Kommunikation á la Social Media dazukommt…

Wer die App (iOS & Android) selber einmal ausprobieren möchte, wird hier fündig:

[appbox appstore screenshots id443904275]

[appbox googleplay Banner Badge  jp.naver.line.android&hl=de]

3 Responses to “Messenger als soziale Netzwerke?”

  1. Cihan Boz

    Bei Line gefällt mir besonders die Möglichkeit, dass man einen Desktop-Client nutzen kann! Leider nutzen das zu wenige Leute in Deutschland 🙁

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